Zwei Küsse beim Nachhausegehen: Kritik und Reflexion
Ist es nicht seltsam, dass wir uns manchmal gezwungen fühlen, Menschen zur Begrüßung und zum Abschied zu küssen, obwohl wir sie kaum kennen? Zwei Küsse auf die Wange – eine Geste der Höflichkeit, der Freundschaft, der Verabschiedung. Aber was passiert, wenn diese Geste unangenehm wird, wenn sie als aufdringlich oder sogar übergriffig empfunden wird? In Zeiten von #MeToo und einer wachsenden Sensibilität für körperliche Grenzen gerät die Tradition der zwei Küsse beim Nachhausegehen zunehmend in die Kritik.
Tatsächlich ist diese Form der Begrüßung und Verabschiedung in vielen Kulturen verbreitet, oft verbunden mit einer Umarmung oder einem Händedruck. Doch während ein Händedruck Distanz wahrt und eine Umarmung Wärme und Nähe signalisieren kann, bewegen sich zwei Küsse in einem diffusen Bereich. Sie sind intimer als ein Händedruck, aber weniger verbindlich als eine Umarmung. Und genau hier liegt das Problem: Die fehlende Klarheit über die Bedeutung der Geste führt zu Unsicherheit und Missverständnissen.
Kritiker der Zwei-Küsse-Tradition bemängeln vor allem die fehlende Freiwilligkeit. Was, wenn man sich mit einem flüchtigen Bekannten nicht so nah fühlt? Was, wenn man grundsätzlich keine Berührungen mag? Die Erwartungshaltung, man müsse sich fügen, um nicht unhöflich zu wirken, kann zu Unbehagen führen. Besonders problematisch wird es, wenn ein Machtgefälle zwischen den Personen besteht, beispielsweise im beruflichen Kontext. Hier kann die Weigerung, Küsse auszutauschen, als unkollegial oder gar karrieregefährdend interpretiert werden.
Hinzu kommt, dass die Bedeutung der zwei Küsse je nach Kulturkreis und Kontext variieren kann. Was in einem Land als freundschaftliche Geste gilt, kann in einem anderen als unangemessen intim aufgefasst werden. Auch innerhalb einer Gesellschaft wandeln sich Normen und Werte. Die wachsende Sensibilität für körperliche Unversehrtheit und die Diskussionen über sexuelle Belästigung haben dazu geführt, dass viele Menschen bewusster mit Berührungen umgehen – sowohl im Geben als auch im Empfangen.
Wie gehen wir also mit dieser Problematik um? Die Lösung liegt nicht darin, die Zwei-Küsse-Tradition zu verteufeln, sondern einen respektvollen Umgang miteinander zu finden. Es geht darum, die Grenzen des Gegenübers zu respektieren und auf nonverbale Signale zu achten. Bietet jemand nicht von sich aus die Wange an, reicht ein freundliches Lächeln und ein herzliches „Tschüss“. Wichtig ist die Kommunikation: Wer sich unwohl fühlt, sollte dies klar und deutlich kommunizieren. Und wer Zurückhaltung erfährt, sollte dies respektieren, ohne nach dem Warum zu fragen.
Letztendlich geht es bei der Debatte um mehr als nur zwei Küsse. Es geht um Respekt, um Achtsamkeit und um die Freiheit, selbst zu entscheiden, wem man wie nahe kommen möchte. In einer Gesellschaft, die zunehmend auf Individualität und Selbstbestimmung setzt, sollten wir auch bei der Begrüßung und Verabschiedung die Wahlfreiheit des Einzelnen respektieren.
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